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Hedwig, der Mops

von Barbara Keller

Hedwig stand vorm Spiegel und betrachtete sich von rechts und von links. Dann kehrte sie dem Spiegel ihr Hinterteil zu und versuchte, über ihre Schulter zu schauen. Aber die vielen Falten im Nacken hinderten sie daran. Sie brauchte einen Handspiegel. Als sie ihr Hinterteil sah, knurrte Hedwig.

Sie war viel zu dick, ihre Beine zu krumm und zu kurz. Und die vielen Speckrollen am Bauch. Sie packte das Fell zwischen die Vorderpfoten und zählte: "Zwei, drei, sieben, acht." Damit nicht genug: Mühelos rollte sie die Speckfalten auf und ab. Hedwig war entsetzt. Was sollte sie tun? Nur noch Karotten fressen? Heimlich das Laufband von Frauchen benutzen? Sie musste vor die Tür, um sich von dem Schrecken zu erholen.

Leise schlich sie aus dem Haus, aber kaum dass sie um die Ecke gebogen war, stieß sie auf Alexa, eine afghanische Windhündin. Sie mochte Alexa, aber heute konnte sie deren Anblick nicht ertragen: ihre hohe, schlanke Gestalt, die schmale, elegante Schnauze. Hedwig, der Mops, heulte erneut auf. Erschrocken kläffte Alexa: "He, Hedwig, was hast du? Was ist geschehen?" Schluchzend stammelte diese: "Ach, ich bin zu klein und zu dick. Da sieh nur", sagte sie und schob wieder ihr Fell mit den Vorderpfoten in Falten, "acht Speckrollen. Und schau nur, wie platt meine Schnauze ist. Ich kriege kaum Luft. Ich möchte so aussehen wie du." "Aber, aber", besänftigte sie Alexa, "Kopf hoch, meine Liebe. Mops bleibt Mops und Windhund bleibt Windhund. Die Menschen haben dich als Schoßhund gezüchtet und nicht als Rennhund. Damit müssen wir uns abfinden."

"Aber meinst du nicht, wenn ich nur Karotten fresse und jeden Tag aufs Laufband gehe, dass ich dann schlanker werde, so wie du?" und schaute Alexa erwartungsvoll an. Die Windhündin schmunzelte: "Ach Hedwig, die Menschen haben uns mal nach ihren Wünschen gezüchtet."

So kam es, dass Hedwig, der Mops, und Alexa, die Windhündin, über die Wiesen spazierten und darüber nachdachten, wie es wäre, wenn die Hunde sich Frauchen oder Herrchen nach ihren Wünschen züchten könnten. Allein bei der Vorstellung daran, kugelten sich die Beiden laut kläffend im Gras herum.

Info
Barbara Keller lebt als Autorin in Düsseldorf.